
Es gibt viele Orte, die mit Sagen verbunden sind. Meist sind es außergewöhnliche Orte, die ein charismatisches Naturjuwel darstellen. So auch der Zauberwald im Berchtesgadener Land, der durch die folgende Sage mit allen Sinnen erlebbar gemacht wird für jeden, der dort spazieren geht.
Vor langer Zeit lebten in den nördlichen Alpen im Berchtesgadener Land oben am Berg am Hochkalter und der Reiteralm zwei Riesen, die eines Tages in einen furchtbaren Streit gerieten. Mit der Zeit wurden sie immer streitlustiger und aus Wut bewarfen sie sich gegenseitig von nun an bei jedem neuen Streit mit Felstrümmern, die alle ins Tal fielen und dort zerschmetterten.
Die Erklärung der Wissenschaft
Unsere Wissenschaft geht etwas nüchterner an die Entstehung dieses Geotops heran.
Während der quartären Eiszeit wurde das heutige Blaueistal tief ausgeschürft. Als das Eis endgültig abgeschmolzen war, fehlte dem Gestein jeglicher Halt und der für das Berchtesgadener Land typische Dachsteinkalk löste sich langsam aber sicher durch den Einfluss der Witterung aus dem Muttergestein. Diese Gesteinsart ist vor ca. 200 Millionen Jahren entstanden als die Gegend ein tropisches Flachmeer war. Aus den kalkigen Gehäusen und Schalen von Meeresorganismen sowie anderen Gesteinseinheiten bildete sich der Dachsteinkalk. Bei der Gebirgsbildung der Alpen wurde dieses Material angehoben sowie gefaltet und als tektonische Decke transportiert. Als dem Gestein vor etwa 3000 – 4000 Jahren mehr und mehr an Halt fehlte, gab es einen Bergsturz im Blaueistal am Hochkaltermassiv, und die Gesteinsbrocken fielen ca. 1000 m hinunter ins Tal. Jedoch blieben diese Steine und Felsen nicht alle gleich an Ort und Stelle liegen, sondern brandeten teilweise auf der gegenüberliegenden Seite wieder hinauf. Den Hintersee gab es damals noch nicht. Er ist entstanden durch die vielen Felsbrocken, die aufgrund des Bergsturzes ins Tal gefallen waren und alsdann den Klausbach aufstauten. Den Bach gibt es auch heute noch. Ab dem Hintersee sucht er sich als Ramsauer Ache seinen Weg ins Tal durch den Zauberwald, wo sich das Wasser teilweise tief in die Gesteinsschichten gegraben hat und eine Klamm entstanden ist.
Der Zauberwald heute
Der Zauberwald wurde vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) als besonders wertvolles Geotop ausgewiesen und als eines der 100 schönsten Geotope Bayerns ausgezeichnet.
Und tatsächlich ist an diesem Ort die Natur sich selbst überlassen. Sie darf sich auf ihre Weise entfalten, trotz der vielen Besucher und Wanderwege. Die Steine liegen querbeet verteilt in einem urwüchsigen Bergwald mit üppigem Pflanzenreichtum in einer stillen Seelandschaft (Motorboote sind hier verboten), die sich in eine wildromantische Landschaft mit einem reißenden Bach wandelt, der sich seinen Weg durch die vielen Gesteinsbrocken bahnt hinunter ins Tal.

Es ist empfehlenswert, dass du einen ganzen Tag für den Besuch im Zauberwald einplanst, um den Ort erkunden, erfahren und genießen zu können. Ich fahre dort öfters hin, denn für mich ist der Zauberwald ein inspirierender Ort, an dem ich die Gesteine in ihrer Urkraft erlebe. Als Urkraft gestalten die Steine die Landschaften unserer Erde auf eigenwillige Art und Weise, was sich nicht einmal als etwas Fixes herausstellt, sondern sie entwickeln sich weiter durch Metamorphosen oder, wie im Falle des Zauberwaldes, lösen sich aus Muttergesteinen heraus, um an anderer Stelle eine phantasievolle Landschaft mit Bäumen und Wasser zu gestalten. Hier eröffnet die Natur Räume, deren Lebendigkeit der Verstand nicht greifen kann, die auf der Seelenebene jedoch viel bewirken. Sie rufen die Erinnerung wach, dass wir Teil der Natur sind und ebenso zu den elementaren Kräften der Natur, des Universums gehören, die sich auf ihre eigene Art und Weise in ihrem eigenen Tempo entfalten. Wann immer ich zum Hintersee in den Zauberwald fahre – jedes Mal entdecke ich etwas Spektakuläres, dass eventuell nur ein kleines Detail ist, mich aber aufs Neue fasziniert, so dass ich immer wieder zurückkomme.




© Claudia Bauch